Perspektiven eines kooperativen Urbanismus
Cities have the capability of providing something for everybody,
only because, and only when, they are created by everybody.
Jane Jacobs
It‘s bloody difficult.
Unknown
Dass Prinzip des Wettbewerbs und der Konkurrenz ist der Struktur des Kapitalismus unauslöschlich eingeschrieben. Die freie Konkurrenz der Individuen sowie der Wettbewerb der Ideen gelten heute als Voraussetzung jeglicher Innovation. Seit der Neoliberalismus zur Leitideologie unseres Gesellschaftssystems geworden ist und der Prozess der Inwertsetzung sich anschickt, die letzten weißen Flecken auf der Landkarte der Menschheit zu erobern, finden sich auch die Städte im Wettbewerbssystem wieder. Sei es der Wettbewerb um Investitionen, um LeistungsträgerInnen, TouristInnen, Kreative oder Megaevents. Die Auswirkungen sind ebenso tiefgreifend wie vielfältig.
Kapitalistischer Realismus und elementarer Kommunismus
Ideologien bringen es mit sich, dass nicht nur ihre BefürworterInnen an ihre allumfassende Wahrheit glauben, sondern – im negativen Sinne – auch ihre GegnerInnen. Das viel zitierte Bonmot von Frederic Jameson, dass es einfacher sei, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus, bringt auf den Punkt, wie schwer es ist, Alternativen außerhalb des herrschenden Systems zu denken. So verwundert es nicht, dass KritikerInnen des Wettbewerbssystems die Durchdringung der Gesellschaft mit Konkurrenzdenken als umfassender wahrnehmen, als sie tatsächlich ist. Mit ein Grund, warum die Möglichkeiten für Veränderung oft nicht erkannt oder unterschätzt werden. David Graeber weist in seinem Buch Schulden: Die ersten 5000 Jahre darauf hin, dass viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nach wie vor nur funktionieren, weil es so etwas wie einen „elementaren Kommunismus“ gibt. Er versteht darunter gegenseitige Hilfeleistungen im Alltag wie Informationen zur Verfügung stellen, Dinge verborgen, mit Rat und Tat zur Seite stehen oder Feste gemeinsam feiern. Doch mit der Durchsetzung des Kapitalismus im Allgemeinen und des Neoliberalismus im Besonderen hat sich Konkurrenz als einer der Pfeiler der Gesellschaft etabliert und verdrängt andere Formen der gesellschaftlichen Organisation aus immer mehr Handlungsfeldern des Alltags. Als jüngste Entwicklung setzt der Neoliberalismus zudem dazu an, mittels kooperativer Strategien die letzten Winkel des Privaten in Wert zu setzen – aus Gastfreundschaft wird Airb‘n’b, aus Mitfahrgelegenheiten Uber, aus alltäglicher Nachbarschaftshilfe Leihdirwas.
Die Stadt als kooperatives Werk
Gegen diesen Prozess organisiert sich in vielen Städten Widerstand, der oft auf kooperativen Formen der Zusammenarbeit fußt. Er manifestiert sich in der Commons-Bewegung ebenso wie in politischen Bottom-up-Netzwerken und Selbstverwaltungsprojekten. Kooperation abseits von Konkurrenz und Verwertung hat es in Städten immer gegeben; das Bewusstsein, aktiv neue Formen als Gegenmodell zu entwickeln und testen, hat sich jedoch erst in den letzten Jahren verstärkt. Die Netzkultur mit ihren flachen Hierarchien und neuen Formen der Arbeitsorganisation, ihrer Forderung nach Transparenz und offenem Zugang zu Wissen bietet nicht nur technische Möglichkeiten, sondern inspiriert auch neue Formen der Organisation. Dem Stadtsoziologen Henri Lefebvre galten Städte immer als Œuvre. Damit wollte er sie nachdrücklich von einem warenförmigen Produkt abgrenzen und betonen, dass Städte ein kooperatives Werk aller StadtbewohnerInnen sind. Stadt ist das natürliche Habitat der Kooperation und ein logischer Ort für das Entstehen von gesellschaftlichen Laborsituationen und sozialen Innovationen. Der urbane Raum bietet beste Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Werkzeuge und Handlungsmodelle, um das Versprechen auf individuelle Lebensgestaltung als positive Errungenschaft der Moderne mit der sozialen Verfasstheit des Menschen stärker in Einklang zu bringen.
Kooperation - wer, wie, warum und mit wem?
In der urbanen Praxis eröffnen kooperative Ansätze jedoch nicht nur eine Reihe von Chancen, sondern auch eine Menge Fragen: Als dominantes Narrativ verdeckt der Ruf nach Kooperation wichtige Diskussionen über die Verteilung von Macht, Mitteln und den Zustand unserer demokratischen Systeme. Bürgerbeteiligung und partizipative Planungsansätze bilden allzu oft nur ein Feigenblatt in längst beschlossenen Stadtentwicklungsprozessen. Wer mit wem, wie und warum kooperieren soll, bleibt weiterhin eine zentrale Frage. urbanize! 2015 verschreibt sich der Erkundung von Perspektiven eines kooperativen Urbanismus und will gemeinsam mit allen Beteiligten dessen Chancen und Grenzen in Theorie und Praxis ausloten. Das Festival verwandelt sich für zehn Tage in einen Cooperative Playground, ein Labor zur Erkundung und Entwicklung kooperativer Strategien, das sich den thematischen Fragestellungen in einer Vielfalt an Formaten und Wissenskonstellationen widmet: Was bedeutet eine kooperative Gesellschaft für die Organisation von Stadt, für das Verhältnis von Stadtpolitik und BewohnerInnen, für Stadtentwicklung und Planungsverfahren? Wie stellt sich in diesem Kontext die Frage nach politischer und ökonomischer Macht? Wie viel neoliberales Potenzial steckt im verstärkten Ruf nach Kooperation? Welche Möglichkeiten eines zukunftsfähigen Umgangs mit Ressourcen eröffnet kooperatives Handeln? Wie lässt sich ein gleichberechtigtes Miteinander in einer immer stärker fragmentierten urbanen Gesellschaft organisieren? Welchen (Spiel-)Raum machen kooperative Ansätze auf, welche Räume brauchen sie, um entstehen zu können? Wie brauchbar sind Erkenntnisse aus der Netzkultur, welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung der Gesellschaft? Welche sozialen Werkzeuge und Strategien müssen wir entwickeln? Wie geht »Zusammen« überhaupt?
urbanize! 2015 »Do It Together« widmet sich dieser Vielzahl an offenen Fragen und stürzt sich gemeinsam mit BesucherInnen und Festivalgästen aus Wissenschaft, Kunst und Stadtaktivismus in das Abenteuer »Zusammen«. Workshops, Stadterkundungen, Vorträge und Diskussionen, Filme, Lesungen, Performances und künstlerische Interventionen erforschen eine in vielen Städten aufblühende Praxis, geprägt von Zusammenarbeit, Selbstermächtigung und dem Wunsch nach gesellschaftlichem Wandel. Am 2.10. eröffnen wir für 10 Tage einen »Cooperative Playground«, um uns gemeinsam mit Gästen und Publikum in der »Kunst der Kooperation« zu erproben. Welcome - Join us!